Definitionen
Serious adverse events (SAE): Schwerwiegende unerwünschte Zwischenfälle
Serious adverse reactions (SAR): Schwerwiegende unerwünschte Reaktionen
Ziel der SAE-/SAR-Aufarbeitung ist die objektive Beurteilung der Ereignisse nach den aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen, um gegebenenfalls bestehende und zukünftige Prozesse zu optimieren, Gefahren zu erkennen und letztlich die Empfängersicherheit zu verbessern (no blame policy).
10.1 Schwerwiegende unerwünschte Zwischenfälle (SAE)
10.1.1 Definition SAE
Ein schwerwiegender Zwischenfall ist jedes unerwünschte und unerwartete Ereignis von der Spende bis zur Transplantation, das zur Übertragung einer Infektionskrankheit, zum Tod oder zu Zuständen führen könnte, die lebensbedrohlich sind, eine Behinderung oder einen Funktionsverlust zur Folge haben oder eine Krankenhausbehandlung oder Morbidität nach sich ziehen oder verlängern.
Ein SAE ist ein Ereignis, das bei Untersuchungen von Spendermaterial/Spenderorganen (nicht beim Empfänger) auftritt. Es ist immer mit einem konkreten Risiko für mindestens einen Empfänger verbunden. Das bedeutet, mindestens ein Empfänger muss bei Bekanntwerden des SAE bereits transplantiert bzw. in Narkose sein.
10.1.2 Beispiele für SAE
- Nachweis von multiresistenten Keimen in der Blutkultur des Spenders. Abnahme noch auf Intensivstation. Ergebnis wird erst nach der Transplantation der Organe bekannt.
- Diagnose eines Plasmozytoms in der Obduktion des Spenders zwei Tage nach der Explantation. Leber, Nieren und Lungen des Spenders sind transplantiert.
- Nachweis von 4-MRGN-Keimen in der Transportlösung der Leber bei Ankunft des Organs im Empfängerzentrum, Leber und Nieren sind transplantiert.
- Nachweis eines Mykobakterium tuberkulosis in Spender-Routine-BAL, Befundeingang am Tag nach Transplantation aller Organe
- Nierenzellkarzinom entdeckt bei der Präparation der Niere vor der Implantation im Empfängerzentrum, die Leber ist bereits transplantiert.
Alle Befunde des Organspenders, die im Spenderkrankenhaus nach erfolgter Organentnahme eingehen (inklusive Auffälligkeiten bei einer Obduktion), müssen unverzüglich an die Koordinierungsstelle (DSO) gemeldet werden. Die DSO leitet sie an alle Empfängerzentren weiter.
Kein
SAE liegt vor bei allen Befunden, die zum Zeitpunkt der Spende bzw. der Transplantation bekannt sind (Abbruch der Transplantation ist möglich bzw. die Zustimmung des Empfängers kann eingeholt werden), z.B.:
- Nierenzellkarzinom, entdeckt während der Explantation und vor Implantation der anderen Organe
- mikrobiologische Befunde (Blutkultur, BAL), welche vor ET-Anmeldung bzw. vor Transplantation des ersten Organs bekannt waren
- andere Qualitäts- oder Prozessprobleme: Transportprobleme, Qualität der entnommenen Organe.
10.2 Schwerwiegende unerwünschte Reaktionen (SAR)
10.2.1 Definition SAR
Eine schwerwiegende unerwünschte Reaktion ist jede unbeabsichtigte Reaktion, einschließlich einer Infektionskrankheit beim Lebendspender oder Empfänger, die mit irgendeinem Glied der Kette von der Spende bis zur Transplantation in Zusammenhang stehen könnte und die lebensbedrohlich ist, eine Behinderung oder einen Funktionsverlust zur Folge hat oder eine Krankenhausbehandlung oder Morbidität nach sich zieht oder verlängert.
Eine SAR tritt beim Organempfänger auf. Es handelt sich um eine unerwartete Reaktion beim Empfänger während bzw. nach der Transplantation, die möglicherweise durch das Spenderorgan ausgelöst wurde. Es ist somit auch mit einem konkreten Risiko für alle anderen Organempfänger desselben Spenders verbunden.
10.2.2 Beispiele für SAR
- Arrosionsblutung der Transplantat-Nierenarterie bei V.a. Transmission von Candida albicans (Candida-Nachweis in Routineabstrich der Transportlösung bei Implantation und in Mikrobiologie bei der Empfänger-Revisions-OP)
- Tumor/Metastasen im Empfänger nach Transplantation mit V.a. Übertragung eines Spendertumors
- prophylaktische Transplantatnephrektomie nach Transplantation wegen eines zufällig gefundenen Non-Hodgkin-Lymphoms in der Leber desselben Spenders
Kein
SAR liegt vor bei:
- akute oder chronische Abstoßungsreaktionen beim Empfänger
- postoperativer Infektion des Organempfängers ohne Verdacht auf Bezug zum Spender
- Posttransplantations-lymphoproliferative Erkrankung (PTLD) beim Organempfänger nach Transplantation
HINWEIS
Gesetzliche Grundlagen bezüglich SAE/SAR
EU-Direktive 2010/53/EU
Für EU-Mitgliedsstaaten geltende Qualitäts- und Sicherheitsstandards für zur Transplantation bestimmte menschliche Organe. Bzgl. SAE/SAR: Begriffsdefinition, Notwendigkeit nationaler Verfahrensanweisungen zu Meldesystem und Maßnahmen
EU-Direktive 2012/25/EU
Informationsweiterleitung bei grenzüberschreitendem Organaustausch zwischen EU-Mitgliedsländern. Bzgl. SAE/SAR: Voraussetzungen, die die schnellstmögliche Meldung an alle Beteiligten sicherstellen
Transplantationsgesetz § 11 Abs. 1a Nr. 9
Nationale Umsetzung der EU-Direktiven in Deutschland. Zuständige Stelle für SAE-/SAR- Meldungen ist die Koordinierungsstelle (DSO), Verfahrensanweisungen sind zu erstellen
Rechtsverordnung TPG-Organverordnung, Abschnitt 3
SAE-/SAR-Zuständigkeiten, Meldeablauf, Berichtsvorlagen (auch für grenzüberschreitenden Organaustausch lt. EU-Direktive 2012/25/EU)
DSO-Verfahrensanweisungen Kapitel VII
Konkrete Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben: Meldeweg, Kontaktdaten, Meldeformular, Grundzüge der Aufarbeitung
10.3 Meldung eines SAE- oder SAR-Falls
Gemäß § 9 Abs. 2 TPG-Organverordnung sind folgende Personen und Einrichtungen zur unverzüglichen Meldung jedes SAE und jeder SAR an die Koordinierungsstelle (DSO) verpflichtet:
- der Transplantationsbeauftragte des Entnahmekrankenhauses
- Ärzte, die bei dem Organspender die Leichenschau vornehmen oder vorgenommen haben
- Behörden, in deren Gewahrsam oder Mitgewahrsam sich der Leichnam des Organspenders befindet oder befunden hat
- die von der Koordinierungsstelle (DSO) beauftragten Dritten (z.B. Labore)
- der verantwortliche Arzt des Transplantationszentrums, welcher die weiterbehandelnden Ärzte darüber informieren soll, dass diese bei ihnen auftretende SAE und SAR dem Transplantationszentrum unverzüglich mitteilen sollten
sowie gemäß § 10 Abs. 4 Satz TPG-Organverordnung:
- die Vermittlungsstelle (Eurotransplant), in den Fällen, in denen ein Organ des Spenders ins Ausland vermittelt wurde oder aus dem Ausland ein Organ nach Deutschland vermittelt wurde
Gemäß § 40 Abs. 3 AMWHV sind
- Gewebeeinrichtungen bei Gewebespendern, welche gleichzeitig Organspender sind, sind verpflichtet, jedes SAE und jede SAR unverzüglich der Koordinierungsstelle (DSO) mitzuteilen
10.4 Die DSO – zuständige Stelle für SAE/SAR
Alle Beteiligten im Transplantationsprozess sind gesetzlich verpflichtet, den Verdacht auf ein SAE bzw. SAR unverzüglich an die Koordinierungsstelle (DSO) als zuständige Stelle zu melden und alle verfügbaren Informationen zur Verfügung zu stellen.
SAE/SAR Meldung
10.5 Der DSO SAE-/SAR-Dienst
HINWEIS
24/7 SAE/SAR-MELDUNG
Telefon: 0800 376 7273 ("dsosare")
Telefax: +49 (0) 69 677 328 89 998
E-Mail:
dso.sare@dso.de
Die DSO stellt die 24/7- Erreichbarkeit eines ärztlichen SAE-/SAR-Koordinators sicher. Dieser erstellt nach Plausibilitätsprüfung einen Erstbericht, der an alle involvierten Empfängerzentren, die Vermittlungsstelle (Eurotransplant) und evtl. weitere beteiligte Institutionen geschickt wird.
10.6 Aufarbeitung eines SAE-/SAR-Falls
Es folgt die Aufarbeitung jedes gemeldeten SAE- und SAR-Falls durch speziell geschulte ärztliche DSO-Koordinatoren gemeinsam mit der Stabstelle SAE/SAR und in enger Zusammenarbeit mit allen am konkreten Spendeprozess beteiligten Institutionen nach den DSO-Verfahrensanweisungen Kapitel VII und dem DSO-internen Workflow.
Kooperierende Experten aus verschiedenen Fachrichtungen der Transplantationsmedizin, Infektiologie, Onkologie, Pathologie etc. werden in die konstruktive Diskussion, zur Einschätzung der Relevanz des Falls sowie gegebenenfalls zur Einleitung weiterer Untersuchungen eingebunden. Spätestens nach 3 Monaten erstellt die DSO einen Abschlussbericht.
Die Leitung des gesamten Prozesses der SAE-/SAR-Aufarbeitung liegt beim Ressort Empfängerschutz und dem Medizinischen Vorstand der DSO.
Oberstes Ziel der SAE-/SAR-Aufarbeitung ist die objektive Beurteilung der Ereignisse nach den aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen, um gegebenenfalls bestehende und zukünftige Prozesse zu optimieren, Gefahren zu erkennen und letztlich die Empfängersicherheit zu verbessern (no blame policy).